Kodiak Braunbär
Alaska war für mich schon seit Kindestagen der Inbegriff eines Jagdparadieses. Viele Bücher namhafter Autoren mit Jagdgeschichten aus diesem Land hatte ich gelesen und so hegte ich immer den Wunsch eines Tages dort zu jagen. Den ersten Anlauf machte ich vor einigen Jahren, kam dann aber auf eine Jagd in Kanada und jagte dort auf Elch, Schaf und Karibou (siehe mein Reisebericht „Kombinationsjagd in Kanada“). Bei dieser Jagd sah ich auch Grizzlies, für dies es aber keine Lizenzen gab. Die Bären in der nordamerikanischen Wildnis waren ein beeindruckender Anblick, sicherlich auch aufgrund des Nimbus, der sie umgibt.
In der folgenden Zeit beschäftigte ich mich theoretisch intensiver mit dem Bärwild, denn von vornherein war klar, dass ich nur eine Braunbärenjagd im Leben machen würde. Ursus arctos kommt in Europa, Asien und Nordamerika vor. In Europa sind es vor allem die Länder Rumänien und Kroatien, die über gute Bestände verfügen. Die Jagden sind allerdings sehr teuer und die Bären geringer als die Asiens und Nordamerikas. In Russland werden die Bären im allgemeinen von Westen nach Osten größer und die Größten sollen auf der Kamtschatka Halbinsel leben. Von Kamtschatka hört in jagdlichen Dingen nicht nur Gutes und die Vorstellung, einen Bären vielleicht mit knatterndem Schneemobil oder gar dröhnendem Hubschrauber zu verfolgen, sagte mir nicht zu.
So befasste ich mich näher mit den Möglichkeiten in Nordamerika. Die Amerikaner unterscheiden zwischen Braunbären und Grizzlies. Grob gesagt sind Grizzlies diejenigen, die im Inland leben, Braunbären diejenigen, die in Küstennähe leben und Zugang zu lachsführenden Flüssen haben. Sie werden, von Ausnahmen abgesehen, aufgrund des reichlicheren Nahrungsangebotes auch deutlich größer. Die größten Braunbären wiederum leben auf der Kenai Halbinsel und auf Kodiak. Der Kodiak Braunbär hat keinen Kontakt zu anderen Populationen und erreicht die durchschnittlich größten Schädelmaße. Offensichtlich wird dies, wenn man die sorgfältig geführten Statistiken der Fish & Game Behörde studiert. Grizzlies erreichen Deckenlängen von 7 – 8 Fuß (1 ft = 30,48 cm) und Schädelmaße (Breite + Länge) von 20 – 25 inch (1 in = 2,54 cm), Kodiakbären Deckenlängen von 8 - 11 Fuß (3,35 Meter!) und Schädelmaße von 24 - 29 inch. Ein ausgewachsener männlicher Grizzly wiegt etwa 250 kg, ein Berggrizzly nur 200 kg, ein Kodiakbär hingegen 400 – 450 (im Frühjahr) und bis 650 kg (und mehr) im Herbst. (Ein europäischer Braunbär über 200 kg gilt als stark, Bären über 250 kg als kapital).
Also wenn schon – denn schon: auf nach Kodiak! Die Bärenlizenzen auf Kodiak werden im Losverfahren vergeben, sog. draw permits. Man muss an einer Lotterie bis Ende des Vorjahres teilnehmen und erhält mit etwas Glück Ende Januar ggf. die Benachrichtigung. Mein Outfitter Mike bejagte seit einigen Jahren ein Gebiet im östlichen Teil der Insel („wild creek“ - der Name sei Programm), welches sich von der Küste bis auf 1.450 Meter erhob. Man jagt dort nur zu Fuß und vom sog. spike camp, d.h. kleinen Zelten, aus und man kann dieses Gebiet nur per Wasserflugzeug erreichen. Die Jagd selbst sei hart, die Wetterbedingungen mitunter sehr rau (Regen, Schnee und Wind, -5 bis +15 Grad).
Das alles hörte sich sehr reizvoll an und so flog ich am 20. April über Kopenhagen, Seattle und Anchorage nach Kodiak, wo mich Mike anderntags am sehr überschaubaren Flughafen abholte. Auf Kodiak dreht sich eigentlich alles nur um das Lachs- und Heilbuttfischen sowie um die Bären. Hat man ein Gewehr dabei, was hier keinerlei Aufsehen bei Flughafen- und Sicherheitspersonal erregt, wird man allseits auf die Jagd angesprochen, hält ein Schwätzchen über Bären, Gebiete, Ausrüstung und die jüngsten Ergebnisse, und jeder wünscht einem viel Glück. Die Stadt Kodiak hat 4.500 Einwohner, aber drei (!) große und bestens ausgestattete Jagd- und Angelgeschäfte. Gewehre und Munition kann man zudem noch in jedem Supermarkt kaufen …
Am nächsten Tag werden wir drei (guide Mike, assistant guide Wayne und ich) bei bestem Wetter ausgeflogen. Nach gut 40 Minuten Flug über das Meer und schneebedeckte Berge landen wir in einer Bucht und entladen unsere Ausrüstung an den Strand. In neun Tagen soll uns das Flugzeug wieder abholen. Wir errichten unsere Zelte an einer geschützten Stelle. Ich habe ein eigenes, die guides teilen sich eins und ein drittes dient als Koch- und Aufenthaltszelt mit Tisch und Stühlen. Mike übernimmt die Küche und versogt uns die ganze Zeit über bestens. Ein Bach direkt am Camp versorgt uns mit frischem Trinkwasser. Nach dem Essen Jagdgeschichten und spät abends dann in die Schlafsäcke. Die Temperatur fällt unter Null Grad, sodass man mit Unterwäsche in den Schlafsack muss. Da man aber auf einem klappbaren Feldbett und nicht auf einer Matte auf dem gefrorenen Boden liegt, ist es komfortabel.
Am nächsten Morgen brechen wir nach dem Frühstück bei bestem Wetter auf, jeder mit einem großen Rucksack mit Ersatzkleidung, Proviant, Spektiv und den unentbehrlichen Watstiefeln, die man über die normalen Stiefel anziehen kann. Wir pirschen auf grobem Kies eines Flussbettes ein Tal hinauf, wobei wir immer wieder den meandernden Lauf eines Flusses überqueren müssen. Zwischendurch glasen wir die verschneiten Hänge der Berge ab und nach drei Stunden klettern wir auf einen Hügel, von dem aus wir das ansteigende Tal und die Hänge auf mehrere Kilometer überblicken können. Wir sitzen dort in der Sonne, verzehren unseren Proviant, halten ein Schläfchen und beobachten abwechselnd die Umgebung. Es ist Mike, der plötzlich den ersten Bären sieht und uns auf einen winzigen Punkt im Schnee hoch oben im Berg einweist. Wir richten die Spektive ein und erkennen nun im flimmernden Blickfeld der 60-fachen Vergrößerung den Bären, der im tiefen Schnee offenbar nach Wurzeln gräbt. Mike spricht ihn auf immerhin 2 – 2,5 km auf 9,5 Fuß und als jagdbar an. Er ist aber für uns heute nicht erreichbar. Eine Stunde später entdeckt Wayne einen Bären weit über uns auf gut 1.000 Meter wie er über den höchsten Grat wechselt und hin und her sucht. So weit oben hätte ich eher Schneeziegen erwartet, die hier zahlreich vorkommen. Mike ist elektrisiert, denn der Bär ist stark, vielleicht 10,5 Fuß, aber leider mit sehr schlechtem Fell. Dann sehen wir einen deutlich kleineren Bären, der flüchtig abgeht und schon sind beide wieder verschwunden. Ich erfahre, dass starke Bären durchaus geringere angreifen und besonders die Jungen der Bärinnen gefressen werden. Diese werden dann später wieder paarungsbereit und der dominante Bär setzt seine Gene durch (ähnlich wie bei Löwen). Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet, wird es spürbar kälter und eine Stunde später brechen wir auf, sind zwei Stunden später wieder im Camp. Kein schlechter Anblick am ersten Tag, obwohl Mike meint, hier noch nie so viel Schnee und so wenig Fährten gesehen zu haben. Offenbar war der Winter streng und aufgrund des vielen Schnees sind noch nicht viele Bären aus ihren Höhlen.
Am nächsten Tag pirschen wir in dasselbe Tal, nur gut einen Kilometer weiter. Dort sitzen wir an diesem Tag wieder auf einem Aussichtspunkt, nur dass es leicht schneit, windig und somit empfindlich kalt ist. Wieder sehen wir auf weite Entfernung Bären, aber es ist aufgrund der Schneelage und dem übersichtlichen Gelände unmöglich sie anzugehen. Der dritte Tag bringt Schnee, Regen und Nebel und wir bleiben im Camp. Die nächsten Tage bringen Regen aber immerhin einigermaßen Sicht und wir marschieren täglich weiter das Tal hinauf. Einmal sehen wir eine nicht führende Bärin unter uns, die den Fluss durchquert. Sie wäre schussbar, aber für einen 7,5-Fuß-Bären kommt man nicht nach Kodiak. Dann sehen wir wieder einen starken Bären, der auf einem Felsvorsprung im Schnee liegt, von wo aus er sehr guten Überblick hat. Um ihn zu erreichen, müsste man viele hundert (Höhen-)Meter durch offenes Gelände und Tiefschnee sowie über Lawinenhänge und Mike hält es für zu gefährlich. Gefährlich auch deshalb, weil der Bär, selbst wenn man an ihn herankäme, nach einem Schuss sofort von dem Vorsprung und in Deckung springen könnte, was ein Nachschießen unmöglich und eine Nachsuche in dem unübersichtlichen Gelände zu einem höchst gefährlichen Unterfangen machen würde. Selbst bei einem Kammerschuss würde der Bär abgehen und unter Umständen noch lange sehr wehrhaft sein. Nur ein Schuss auf das Blatt, möglichst breit stehend und beide Blätter treffend, würde den Bär an den Platz bannen. Ein Kaliber unter .338, obwohl legal, würde Mike nicht akzeptieren, und lieber wäre ihm eine .375. Nach 27 geführten Bären wird er wissen warum.
Am siebten Tag brechen wir früher auf und marschieren das Tal hinauf bis wir an einen engen Canyon unterhalb der Stelle kommen, an der der Bär am Vortag gelegen hat. Wir müssen einige hundert Meter im Fluss gegen die Strömung waten und Lawinen, die im Fluss liegen, umgehen, bis wir einen Hang hinaufsteigen, von dem aus wir den weiteren Verlauf des Tales einsehen können. Es ist kein Bär zu sehen und so beobachten wir für etwa eine Stunde die Umgebung. Dann machen wir uns auf Schneeschuhen auf zu einer weiteren Stelle, von der aus wir ein kleines Seitental einsehen können. Wir erkennen zwar Bärenspuren, aber keinen Bär. Es beginnt leicht zu schneien und wir richten uns auf längeres Warten ein. Thermounterwäsche und Parka lassen es aber gut aushalten.
Nach einer Stunde, es ist bereits 15 Uhr, erblickt Mike plötzlich den Bären im Lager auf einer Lehne im Seitental etwa einen Kilometer entfernt und nur deshalb, weil dieser sich bewegt und Mike im selben Moment dort hingeschaut hat. Schnell wird der Plan gemacht, die warmen Sachen ausgezogen, alles in die Rucksäcke verstaut und auf Schneeschuhen geht es den Hang hinunter in den Canyon. Dort in den Watstiefeln weiter flussauf über große und rutschige Felsen. Nach einer halben Stunde meine ich, der Bär müsse rechts über uns sein, aber Mike zeigt weiter nach vorne links. Am Ufer ziehen wir wieder die Schneeschuhe an und mühen uns im Schnee den Hang hinauf und durch Büsche. Dann kommen wir an eine Kuppe und vorsichtig blicken wir hinüber. Dort auf 200 Meter liegt der Bär. Vorsichtig repetiere ich eine Patrone ins Lager. Wir schieben uns ganz langsam noch 50 Meter weiter vor, immer verharrend, wenn der Bär aufwirft. An einem Felsen angekommen nehme ich meinen Rucksack als Unterlage. Ich habe trotz der vielen Büsche über das kleine Seitental freies Schussfeld. Als auch Mike bereit ist (um ggf. nachzuschießen) schieße ich schräg von vorn auf das Blatt. Satter Kugelschlag. Der Bär pendelt mit dem Haupt, „keep shooting“ höre ich von links, und so feuere ich noch zwei Schüsse ab. Nachladen und Beobachten, aber der Bär rührt sich nicht mehr. Jetzt spüre ich auch meine Aufregung. Wir warten noch zehn Minuten, mühen uns dann durch das kleine Tal und nähern uns vorsichtig dem Bären. Dieser ist längst verendet und wir liegen uns in den Armen. Mit 9,5 Fuß ist er kein Super-Kapitalbär aber eine sehr gute Trophäe und mit 27 inch. Schädelmaß überdurchschnittlich. Alle drei Schuss der .338 WinMag sind ohne Ausschuss!
Da es bis zum Camp weit ist, schlagen wir den Bären gleich nach den obligaten Fotos aus der Decke. Mit gut 70 kg Zusatzgepäck machen wir uns dann auf den Weg. Nach anderthalb Stunden geht es nicht mehr und wir verblenden die Decke um sie am nächsten Tag zu holen. Im Dunkeln erreichen wir nach insgesamt 25 km an diesem Tag unsere Zelte. Nach dem Abendessen und ein paar Whiskeys kriechen wir müde aber zufrieden in die Schlafsäcke.
Am nächsten Tag marschieren Wayne und ich das Tal im strömenden Regen hoch, um die Decke zu holen. Mit einem kleinen Schlauchboot flößen wir die Decke einige Kilometer talabwärts bis eine scharfkantige Stromschnelle dem Unterfangen ein Ende bereitet. Ab da müssen wir die Decke noch drei Stunden bis zum Camp tragen, was uns das Letzte abverlangt. Mike erwartet uns dann aber mit einem guten Essen und der Mitteilung, dass wir, so es das sich verschlechternde Wetter zulässt, morgen Mittag ausgeflogen werden.
Anderntags hören wir mittags die Maschine kommen, tragen unser Gepäck zum Strand und können dann aus der Luft einen letzten Blick auf die Bucht, die Berge und unser Tal „wild creek“ werfen, in dem wir so manchen Schweißtropfen vergossen haben, aber nach einer anstrengenden Jagd auch erfolgreich waren.
Zurück in Kodiak müssen Decke und Schädel bei der Fish and Game Behörde zur Vermessung und Verplombung vorgezeigt werden. Man ist erstaunt, dass wir in dem schwierigen Gebiet erfolgreich waren, denn aufgrund des Schnees ist die Erfolgsquote auch in den anderen Gebieten geringer als sonst. Die Vermessung interessiert auch andere Jäger und so werden international Erfahrungen ausgetauscht. Später im Hotel und Restaurant treffen wir amerikanische Jäger, die aufgrund der Wetterlage nicht ausfliegen können. Unser Erfolg hat sich bereits herumgesprochen und so ergeben sich noch bis spät in die Nacht die üblichen jagdlichen Fachgespräche.
Am nächsten Tag, es regnet in Strömen und das ändert sich auch die nächsten Tage nicht, geht es dann mit der Linienmaschine über Anchorage und Seattle wieder nach Europa. Ich bin erfüllt von den Eindrücken dieser Wildnisjagd und der herrlichen, rauen Natur. Ich habe sehr nette Menschen kennengelernt, viel Neues erlebt und werde diese Erinnerungen für immer behalten!
NB